Gleichschritt der Sender – Serbiens Medien zwischen Regierung und Russland
Autoritäre Kontrolle über fast den gesamten Medienmarkt
Die Medienlandschaft Serbiens befindet sich in einem Zustand fast vollständiger Kontrolle – eine Entwicklung, die in Europa ihresgleichen sucht. Laut Experten beherrschen Präsident Aleksandar Vučić und sein Umfeld rund 90 bis 95 Prozent des Medienmarktes. Chefredakteure erhalten teils tägliche Anweisungen aus Regierungskreisen, sogar außerhalb von Wahlkampfzeiten. Manche sind direkt in Vučićs Wahlkampfteam eingebunden. Die Unabhängigkeit des Journalismus wird so massiv untergraben, die Opposition hat kaum Raum zur öffentlichen Artikulation – trotz jahrelanger Forderungen der Europäischen Union nach Medienpluralismus.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk als Regierungsinstrument
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (RTS) wurde vollständig in einen regierungsnahen Staatsfunk umgewandelt. Die Führungsebene wurde frühzeitig auf Regierungslinie gebracht. Zusammen mit RTV, dem Rundfunk der autonomen Provinz Vojvodina, erreicht das System rund 20 % der Bevölkerung. RTV sendet immerhin in zehn Sprachen, doch auch dort bleibt der Einfluss der Regierung deutlich spürbar. Die letzte landesweite Frequenzvergabe bestätigt das Bild: Alle Sender mit nationaler Reichweite gelten als regimetreu.
Der Einfluss Moskaus: Sputnik als inländisches Medium
Besonders alarmierend ist der russische Einfluss auf serbische Medien. Der russische Staatskonzern Sputnik betreibt eine große Redaktion in Belgrad und bietet seine Inhalte auf Serbisch und kostenfrei an. Diese werden von lokalen Medien teils hunderte Male täglich übernommen – ohne Hinweis auf deren Herkunft. Die Bevölkerung nimmt Sputnik-Berichte nicht als ausländische Nachrichten wahr, sondern als Teil der eigenen Medienlandschaft. Die Inhalte folgen einem klar pro-russischen Narrativ und bedienen antiwestliche Ressentiments. Sogar rein innenpolitische Themen werden von Sputnik aufgegriffen, um Solidarität zwischen Russland und Serbien zu suggerieren: „Wir, die serbischen Bürger und Sputnik, gegen den Rest der Welt.“
Verzerrung westlicher Quellen und Desinformationsflut
Internationale Medien wie BBC oder Deutsche Welle, die auf Serbisch senden, erreichen nur ein kleines, kritisches Publikum. Ihre Meldungen werden, wenn überhaupt, selektiv übernommen und verzerrt dargestellt – etwa in der Art, dass Serbien als das „glückliche Paradies“ erscheine, während westliche Länder im Chaos versänken. Die Boulevardpresse unterstützt dieses Bild mit Schlagzeilen wie „Der Westen will Vučić ermorden“ oder „NATO plant Invasion mit Zehntausenden Soldaten“. Diese Narrative werden so häufig wiederholt, dass ein Teil der Bevölkerung sie für bare Münze nimmt. Ein Journalist beschreibt diese Medienrealität als „Reality Show“, deren Wahrheitsgehalt nebensächlich geworden ist.
Uninformierte Provinz und gefährliche Naivität
Besonders in den ländlichen Regionen ist die Bevölkerung häufig „absolut uninformiert“. Die Naivität ist groß, was dort in der Zeitung steht, wird oft als gesicherte Wahrheit angesehen – im Vertrauen darauf, dass die Regierung problematische Inhalte ohnehin unterbinden würde. So entsteht ein beunruhigendes Gefälle zwischen tatsächlicher Realität und medial vermittelter „virtueller Realität“.
Jugend zwischen Führersehnsucht und Auswanderung
Eine repräsentative Umfrage unter Jugendlichen zeigt die ganze Ambivalenz: Fast 60 % sind der Ansicht, Serbien brauche einen „starken Führer“, während gleichzeitig rund 50 % auswandern wollen – die Mehrheit davon nach Europa. Nur 6 % bevorzugen Russland. Trotz des dominanten pro-russischen Diskurses orientiert sich der Lebenswunsch der Jugend mehrheitlich an westlichen Standards. Diese paradoxe Haltung verweist auf die Kluft zwischen politischer Rhetorik und persönlichem Zukunftsbild.
Mangelnde Reaktion der EU
Die Kontrolle des Mediensektors bildet das Fundament von Vučićs autoritärem System. Der Präsident wird glorifiziert, die Opposition dämonisiert. Reformen werden in Aussicht gestellt – jedoch stets „nach Lösung nationaler Probleme“. Die EU reagiert bislang zurückhaltend und scheint das Ausmaß der Desinformation auf dem Balkan nicht in vollem Umfang zu erfassen.