Kroatiens Medienfreiheit im Würgegriff – Ein Ringen mit Politik und Justiz

Kroatien, seit 2013 Mitglied der Europäischen Union, findet sich im aktuellen Ranking der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf einem ernüchternden 48. Platz wieder. Während diese Position als „befriedigend“ gilt, offenbart sich vor Ort ein weitaus prekäreres Bild: Zwar existiert eine vielfältige Medienlandschaft, doch Journalist:innenoperieren unter starkem Druck, Einschüchterung und systematischen Angriffen – ein Klima, das ihre Arbeit massiv erschwert.

Ein trügerischer EU-Status

Das Paradox der EU-Mitgliedschaft ist in Kroatien deutlich sichtbar. Während das Land vor dem Beitritt noch internationale Standards zu erfüllen suchte, scheint nach der Aufnahme ein Rückfall eingesetzt zu haben. „Jeder kann, wenn er Teil dieser Familie ist, machen, was er will“, sagt Oliver Vujovic, Generalsekretär der South East Europe Media Organisation (SEEMO), und verweist auf fehlende EU-Mechanismen zur Sanktionierung von Verstößen gegen Medienrechte.

SLAPP-Klagen als systematisches Druckmittel

Ein zentrales Problem sind sogenannte SLAPP-Klagen (Strategic Lawsuits Against Public Participation), die gezielt auf Einschüchterung durch finanzielle Überforderung setzen. Mit 0,82 Fällen pro 100.000 Einwohner liegt Kroatien europaweit an vierter Stelle. Allein im Jahr 2021 wurden 924 Gerichtsverfahren gegen Journalist:innen und Medien gezählt – ein alarmierender Wert, der kritische Stimmen massiv unter Druck setzt.

Einschüchterung aus Politik, Kirche und Gesellschaft

Die Bedrohung geht nicht nur von rechtlichen Verfahren aus. Politiker:innen greifen Journalist:innen öffentlich an, wenn ihnen Berichterstattung nicht passt. Auch einflussreiche Geschäftsleute, Veteranen der Jugoslawienkriege, konservative kirchliche Gruppen oder Gegner der LGBTIQ-Community tragen zur Bedrohungslage bei. Drohungen, Graffiti oder gar körperliche Übergriffe schaffen ein Klima ständiger Angst.

Politische Kontrolle über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Ein besonders heikler Punkt ist die Besetzung führender Positionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk HRT: Der Generaldirektor wird vom Parlament gewählt, ebenso neun der elf Mitglieder des Programmrats. Der politische Einfluss ist damit systematisch verankert. Die Folge: Über 70 Journalist:innen des kroatischen Rundfunks wurden wegen kritischer Berichte in andere Positionen versetzt. Selbst etablierte Moderator:innen verloren ihre Plattformen.

Sinkendes Vertrauen in Medien

Diese Entwicklungen spiegeln sich im Vertrauen der Bevölkerung: Laut einer Studie aus 2021 vertrauen nur etwa 25 % der Kroat:innen den Medien. Bei jungen Menschen liegt dieser Wert teils unter 10 %. Auch gegenüber Österreich ist eine wachsende Skepsis spürbar – befeuert durch politische Narrative, die Misstrauen schüren statt europäische Verbundenheit.

Eine Demokratie auf wackeligen Beinen

Das tägliche Ringen um unabhängigen Journalismus in Kroatien zeigt, wie fragil Medienfreiheit auch in einem EU-Mitgliedsstaat sein kann. Der Einfluss der Politik, die strukturelle Schwächung unabhängiger Redaktionen und die massenhafte juristische Einschüchterung untergraben die Rolle des Journalismus als vierte Gewalt. Es ist ein Zustand, der die europäische Idee von Meinungsfreiheit auf eine ernste Probe stellt.

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